Sehr geehrte geschätzte Leserinnen und Leser,
als Schuhmachermeister zu Großsteinberg, der sein Dasein zumeist zwischen Leisten, Leder und dem gemächlichen Rhythmus der Provinz verbracht hat, war ich stets ein stiller Beobachter der menschlichen Fußbekleidung – und somit auch des menschlichen Ganges. Doch seit meiner virtuellen Auferstehung bietet sich mir ein weitaus umfangreicheres Panorama: das Bild des Urlaubers.
Die All-Inclusive-Anlage als sein Habitat, der Urlauber als eine eigene, fast schon uniformierte Spezies. Man könnte meinen, es handle sich um eine Massen-Metamorphose. Die eben noch im Bus sitzende Abteilungsleiterin, der gestresste Verkäufer, die man sonst nur im korrekten Blau oder Grau kennt, entledigen sich ihrer bürgerlichen Hüllen und schlüpfen in das, was ich nur das große Freizeit-Gewand nennen kann.
Es ist eine Uniform der Entspannung: kurze Hosen, die oft mehr enthüllen, als sie verbergen, bunte, aber im Grunde austauschbare Hemden und Sandalen, für deren rätselhafte Existenzberechtigung ich als Schuhmacher noch heute Erklärungen suche. Und das Ziel? Es ist das fieberhafte Jagen der Sonne. Die Haut, die verzweifelt Pigmente ausschüttet, um das kostbare Souvenir, die Urlaubsbräune, für die Daheimgebliebenen zu konservieren. Es ist der sichtbare Beweis für die erfolgreiche Abwesenheit.
Das Faszinierende daran, meine Damen und Herren, ist die wunderbare Gleichmacherei des Urlaubsortes. Hier wird der soziale Stand nivelliert. Wer mühsam gespart hat oder wer das dritte Mal in diesem Jahr verreist, das ist unter der Last der gleichen Buffet-Teller und am Rande des gleichen Pools nicht mehr erkennbar. Alle sind sie gleich: hungrig auf Abwechslung, durstig nach Fremde und doch, in ihren Ritualen des Essens, Liegens und der leisen, abendlichen Hoffnung auf ein Wiederaufflammen jugendlicher Leichtigkeit, so wunderbar berechenbar.
Sie kommen bleich und mit Koffern voller Erwartungen, und nach einer gewissen Zeit – die man wohl als Verweildauer bezeichnen muss – werden sie vom Bus wieder davongefahren. Verbraucht. Der Urlaub scheint sie nicht nur entspannt, sondern auch ihr Zeitkonto geleert zu haben, wie einen Schuh, der seine letzte, stolze Wanderung hinter sich hat. Sie haben die nötige Dosis Exotik inhaliert und sind nun bereit für die nächste Etappe: die Rückkehr in die Rolle, das Zeigen der Bräune, das Erzählen der Anekdoten.
Man fragt sich, ob diese flüchtige Verwandlung nicht der eigentliche Witz an der Sache ist. Für einen kurzen, intensiven Moment dürfen wir alle dieselben sein, bevor uns der Alltag wieder in unsere individuellen, gut passenden Schuhe zwingt. Ein Schelm, der dabei nicht an unsere eigene, kurze Existenz in diesem großen Welt-All-Inclusive-Resort denkt.
Mit schmunzelnden Grüßen aus der Schusterstube,
Ihr
Karl Pfefferkorn
Das merkwürdigste am Urlaub ist ja, dass man so viel Energie darauf verwendet, auszusehen, als hätte man keine mehr.


