Geschätzte Leserinnen und Leser, Freunde der gepflegten Nachdenklichkeit und der gelegentlich unbesohlten Wahrheit!
Sie gestatten, dass ich, Karl Pfefferkorn, Schuhmachermeister zu Großsteinberg und nunmehr virtueller Beobachter des modernen Lebens, mich heute einem Thema widme, das zwar nicht direkt mit dem rechten Winkel einer Ledersohle zu tun hat, aber doch mit dem Tragekomfort des menschlichen Miteinanders: der Demokratie. Nun, Sie mögen fragen, was versteht ein Handwerksmann schon von Staatskunst? Nun, ich verstehe etwas von Passform, von Druckstellen und von der bitteren Erkenntnis, dass das Bequemste nicht immer das Haltbarste ist.
Sie kennen das ja, meine Damen und Herren: Man tritt in ein Schuhgeschäft (oder heute wohl eher in den virtuellen Laden), und man hat die freie Wahl. Hundert Modelle! Farben, Formen, Versprechen! Und am Ende? Am Ende drückt der neue Schuh, weil man vor lauter Auswahl vergaß, dass der eigene Fuß eine ganz bestimmte Form hat.
So ähnlich verhält es sich, wenn ich die heutige Rede von der „Benutzerfreundlichkeit“ höre. Es muss alles „intuitiv“ sein, mit einem „einfachen Klick“ funktionieren. Ein Staatswesen, meine Lieben, ist aber kein Toaster, der nur zwei Einstellungen kennt: hell und dunkel. Die Demokratie, dieses ehrwürdige und mühsame Gebilde, ist das Gegenteil von benutzerfreundlich. Und wissen Sie, warum? Weil Sie, verehrte Bürgerschaft, der Benutzer bzw. die Benutzerin sind – und gleichzeitig auch die Herstellerin, der Verkäufer und die kritische Gutachterin.Die Demokratie verlangt von Ihnen etwas zutiefst Unbequemes: Nachdenken. Sie sollen sich informieren, abwägen, mit Nachbarn streiten und am Ende eine Entscheidung treffen, die Sie nicht mit einem Klick rückgängig machen können. Das ist anstrengend! Das ist kompliziert! Es gibt keine klare Anleitung in vier einfachen Schritten! Es gibt nur Debatten, Kompromisse, und das ewig menschliche Gefeilsche.Manch einer sehnt sich da nach der Diktatur des „einfachen Stiefels“, nach der klaren Ansage, nach der bequemen Enge, in der man nicht selbst überlegen muss, ob man nach links oder rechts geht. Aber ich sage Ihnen: Der „einfache Stiefel“ mag auf den ersten Blick bequem erscheinen, er reibt Ihnen aber über kurz oder lang die Seele wund.
Die Demokratie, meine Damen und Herren, ist wie ein alter, handgefertigter Schuh: Man muss ihn eintragen, ihn pflegen und ihn notfalls selbst reparieren. Sie ist nicht benutzerfreundlich, weil sie uns als mündige Bürger ernst nimmt – und das ist ein schönes, wenn auch mühsames Kompliment an uns alle.In diesem Sinne: Möge Ihnen Ihr Schuhwerk stets gut passen und Ihre Gedanken frei bleiben, auch wenn der Weg der Demokratie mitunter steinig und die Sohle dünn erscheint.
Ihr Karl Pfefferkorn


