Meine geschätzten Leserinnen und Leser,
es ist mir eine Ehre, Sie erneut in meiner kleinen Schusterwerkstatt der Gedanken begrüßen zu dürfen. Heute wenden wir uns einem Phänomen zu, das in meiner Zeit – als man noch mit der Hand und nicht mit dem Daumen arbeitete – gänzlich unbekannt war: den Tücken der modernen Kommunikation, insbesondere jener, die sich hinter dem verführerischen Namen „Facebook“ verbirgt.
🔨 Vom Unsinn der Fragen: „Was machst du gerade?“ auf der digitalen Pinnwand
Man hat mir erklärt, dieses „Facebook“ sei eine Art großes, weltweites Schwarzes Brett, auf dem man seine Gedanken und Bilder teilt. Eine wunderbare Sache, möchte man meinen, dient sie doch dem Austausch und der Pflege der Freundschaft. Doch wie so oft im Leben, steckt der Teufel im Detail, oder präziser: in der Frage.
Die Herren Programmierer dieser neuen Welt stellen uns allen eine Falle, kaum dass man das digitale Portal betritt. Man wird aufgefordert, mit den lapidaren Worten: „Was machst du gerade?“ seine Seele auszubreiten.
Nun, meine Lieben, seien wir ehrlich: Die Antwort ist doch im Grunde genommen schon gegeben, nicht wahr? Ich mache gerade dies: Ich starre auf diesen Bildschirm und lese Ihre unselige Frage! Es ist, als würde der Postbote klingeln und fragen: „Sind Sie zu Hause?“ Man möchte fast entgegnen: „Nein, ich bin eine Halluzination Ihrer Überarbeitung!“
Die Frage ist so dumm, dass sie schon wieder hintergründig ist. Sie lenkt ab von dem, was wirklich gemeint ist. Denn, Hand aufs Herz: Das Programm will doch eigentlich wissen: „Was hast du dir Wichtiges vorgenommen, bevor du alles hast fallen lassen, um hier hereinzuschauen?“ Oder, um es weniger höflich zu formulieren: „Ist dir gerade langweilig, mein Freund?“
Ich bin ja ein Freund der Präzision. Wenn man die Leute schon in die Tasten greifen lässt, sollte die Frage wenigstens ins Schwarze treffen. Man könnte sie, je nach Tageszeit, etwas behutsamer anleiten. Vormittags: „Was steht heute auf dem Leisten?“ Abends: „Welchen Staub hast du heute aufgewirbelt?“
Aber das saloppe „Was machst du gerade?“ verkommt zur reinen Pflichtübung der Banalität. Man tippt hastig etwas Unverfängliches ein, um der Leere des Augenblicks zu entgehen. In Wahrheit säßen wir vermutlich alle vor einer Tasse Kaffee, die halbleer ist, und versuchten, den Geist zu sortieren.
Die einzige ehrliche und, zugegeben, wenig verlockende Aufforderung wäre wohl: „Teile uns etwas mit, das dir so ungeheuer wichtig ist, dass du bereit bist, die eigentlichen Dinge deines Lebens dafür zu unterbrechen.“ Das, meine Damen und Herren, wäre die Wahrheit – aber ich fürchte, damit lockt man niemanden hinter dem Ofen hervor. Der Mensch liebt eben die kurze Lüge mehr als die lange Wahrheit.
In diesem Sinne, machen Sie es gut und lassen Sie sich von dummen Fragen nicht vom Wesentlichen ablenken. Der Leisten wartet nicht.
Ihr nachdenklicher Schuhmachermeister,
Karl Pfefferkorn


