Geschätzte Leserinnen und Leser, die Sie sich wacker durch die Wirrnisse des modernen Alltags schlagen und dabei gelegentlich den Kopf schütteln über all das Neue, das da auf uns einstürzt. Seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem alten Schuhmachermeister aus Großsteinberg.
Heute möchte ich Sie mitnehmen auf eine gedankliche Reise, die weniger mit einem festen Lederabsatz zu tun hat, als vielmehr mit dem wackligen Boden unserer eigenen Existenz. Man hat mir von einem seltsamen Zeitvertreib berichtet, einem sogenannten „Computerspiel“, das den vielversprechenden Namen „Die Sims“ trägt. Es ist, so verstehe ich es, eine Art digitales Puppenhaus, nur dass man nicht das Kind ist, das die Puppen kämmt, sondern der liebe Gott selbst.
Sie sitzen vor einem leuchtenden Kasten, so wird mir erklärt, und erschaffen dort Menschen aus dem Nichts. Sie geben ihnen ein Zuhause, eine Arbeit, ja, Sie diktieren den gesamten Lebenslauf dieser winzigen, unsichtbaren Geschöpfe, die sie Sims nennen. Ein jeder Maurer und jeder Schuster weiß, dass man nur das erschaffen kann, was man selbst kennt. Doch hier wird das Leben selbst nachgebaut, bis es dem unseren zum Verwechseln ähnlich sieht. Das ist schon ein beunruhigender Gedanke, meine Damen und Herren.
Nun, diese kleinen Sims, deren Rechenleistung begrenzt ist, aber deren Illusion von Leben makellos erscheint, die werden sich doch auch irgendwann fragen: Wer hat uns eigentlich hier hingestellt? Ihre klügsten Köpfe, ihre Philosophen und Priester, werden sich über Urknall und Singularität den Kopf zerbrechen. Und wenn sie dann auf die Idee kommen, es müsse einen Schöpfer geben, so liegen sie damit ja, nüchtern betrachtet, goldrichtig.
Dieser Schöpfer ist freilich kein bärtiger Herr auf einer Wolke, sondern ein gelangweilter Mensch vor einem Tischgerät. Er ist allmächtig in dieser Welt: Er kann aus heiterem Nichts einen Swimmingpool oder gar einen neuen Partner für seine Sims erschaffen. Er kann aber auch, wenn ihm danach ist, alle Türen entfernen und das Geschöpf elendig im Badezimmer verhungern lassen – ein gottgleiches Handeln von bemerkenswerter Launenhaftigkeit.
Doch das Gefährlichste an diesem allmächtigen, aber unreifen Gott: Wenn seine Mutti zum Abendessen ruft, oder wenn er einfach müde wird, schaltet er den Kasten ab. Die Welt der Sims verstummt, nur um beim nächsten Hochfahren wieder dort weiterzumachen, wo der Schöpfer seinen Dienst quittiert hat.
Und damit sind wir beim Kern des Pudels angelangt, werte Leserinnen und Leser: Woher nehmen wir eigentlich die Gewissheit, dass nicht auch wir nur die hochgezüchteten Sims eines etwas älteren, aber ebenso unreifen Spielers sind?
Wir würden es nicht merken, unsere Forschungen würden immer nur bis zum Urknall reichen, aber nicht darüber hinaus. Die Ironie wäre perfekt. Uns bliebe in diesem Fall nur eine einzige Hoffnung: Dass derjenige, der über unseren Rechner gebeugt sitzt, inzwischen ein reiferer, nachdenklicherer Mensch geworden ist. Einer, der seine Freude nicht mehr an der willkürlichen Zerstörung hat, sondern am behutsamen Aufbau.
Sollte dem nicht so sein, bleibt uns nur die Handwerksarbeit: Wir müssen unsere Welt selbst ordentlich zusammenflicken und die Verantwortung für den Zustand des Schuhs übernehmen, in dem wir stecken. Egal, ob uns ein Kind am Computer beobachtet oder nicht.
Mit freundlichen und nachdenklichen Grüßen aus der Werkstatt des Seins,
Ihr Karl Pfefferkorn


