Verehrte Leserin, geschätzter Leser,
Es ist mir stets eine Freude, Sie hier in meiner kleinen gedanklichen Werkstatt begrüßen zu dürfen. Heute möchte ich mit Ihnen über ein Thema sinnieren, das so wichtig ist wie gutes Schuhwerk, aber oft so vernachlässigt wird: Die herrliche Schönheit der Unvollkommenheit.
Sie alle streben danach, nicht wahr? Nach dem perfekt polierten Leben, dem makellosen Auftritt, der fehlerfreien Darbietung. Die moderne Welt, so scheint es, hat die Perfektion zur obersten Tugend erklärt. Alles muss glatt sein, genormt, ohne Ecken und Kanten. Aber, meine Damen und Herren, ich frage Sie ganz offen: Erinnert man sich an eine perfekt polierte Oberfläche? Sie ist bestenfalls nett, aber sie gibt dem Geist nichts zu knabbern.
Lassen Sie uns das schönste Beispiel aus dem Leben nehmen: Die Hochzeit. Eine Veranstaltung, die mit einer Akribie geplant wird, die man sonst nur bei der Konstruktion einer Schweizer Uhr findet. Die Blumen müssen stimmen, der Bräutigam darf nicht schwitzen, die Torte muss eine architektonische Meisterleistung sein. Der Plan ist: Perfektion.
Und woran, frage ich Sie, erinnern sich die Gäste und vor allem das Paar selbst in zehn Jahren?
Erinnern sie sich an die absolut gleichmäßigen Serviettenfalten? Nein. Erinnern sie sich an die drei makellosen Stunden, in denen alles nach Protokoll lief? Ich bezweifle es.
Sie erinnern sich an den Moment, als Tante Hilde, die ein Gläschen zu viel Punch hatte, beim Brautwalzer fast das DJ-Pult umgerissen hätte. Sie erinnern sich daran, wie der Ringträger (der kleine Neffe) vor Aufregung den Ring hinter den Altar fallen ließ. Oder an den Augenblick, als die sorgfältig eingeübte Hochzeitsrede des Vaters durch ein unerwartetes Glockengeläut aus dem Takt gebracht wurde, woraufhin der Redner improvisieren musste und es dadurch erst richtig lustig wurde.
Diese kleinen Katastrophen, diese herrlichen Patzer – das sind die wahren Rosinen im Kuchen der Erinnerung! Sie werden nicht mit Zorn, sondern mit lautem, befreiendem Lachen erzählt. Sie sind der Beweis, dass das Leben sich dem strengsten Skript widersetzt und seine eigene, viel bessere Geschichte schreibt.
Die Unvollkommenheit ist der Ort, an dem die Menschlichkeit wohnt. Sie zeigt, dass wir alle nur mit Wasser kochen (oder im Fall der Tante: mit Punch). Und sie bietet uns etwas viel Wertvolleres als kühle Perfektion: Verbundenheit und eine gute Geschichte. Denn eine Geschichte, in der alles glattläuft, ist am Ende nur eine langweilige Anekdote.
Also, meine Damen und Herren, wenn bei Ihrer nächsten großen Feier etwas schiefgeht, atmen Sie tief durch. Es ist nicht das Scheitern des Plans, es ist der Anfang der Legende. Und das ist, Hand aufs Schusterherz, doch viel besser als ein bloß perfekter Abend.
In diesem Sinne: Mögen Ihre Schuhe perfekt passen, aber Ihr Leben ruhig ein paar amüsante Stolperer bereithalten.
Ihr Karl Pfefferkorn, der Meister des unperfekten Moments.


