Sehr geehrte geschätzte Leserinnen und Leser,
es ist mir stets eine besondere Freude, Sie zu einem kleinen Gedankenspaziergang einzuladen. Heute möchte ich Ihre werten Erinnerungen etwas kitzeln und ein Relikt aus einer, zugegeben, weniger vernetzten Zeit ins Zentrum rücken: die gute, alte Telefonzelle.
Ah, die Zelle! Diese oft knallgelbe oder später etwas schüchternere graue Kabine, die an Straßenecken stand, wie ein kleiner, farbenfroher Wächter der Kommunikation. Für die jüngere Garde mag dies ein beinahe archäologisches Fundstück sein, doch wir Älteren erinnern uns noch gut an den ganz besonderen Ritus, der mit ihr verbunden war. Münzeinwurf, das beinahe feierliche Drehen der Wählscheibe – oder das etwas profanere Drücken der Tasten – und dann: die Verbindung.
Man tauchte ein, umwickelt von einer Hülle aus Glas und Metall, und war für die Dauer des Gesprächs dem akustischen Dauerfeuer der Welt enthoben. Es war eine Insel der Vertraulichkeit. Man sprach mit der „holden Maid“ oder der besorgten Mutter, und selbst wenn die Scheiben nicht immer lupenrein waren, so gab es doch eine Art stillschweigendes Abkommen: Hier wird kommuniziert, und der Rest der Welt hält still. Ein seltener Luxus in unserer heutigen Zeit, nicht wahr?
Nun, wie das so ist mit dem Fortschritt, kam das leuchtende Rechteck für die Hosentasche – das sogenannte Smartphone – und erklärte die Zelle über Nacht für obsolet. Sie verkümmerten, wurden zu traurigen Aschenputteln der Telekommunikation, beklebt, besprayt und, nun ja, sagen wir, vielseitig genutzt. Die Vernunft schlug zu, der Rotstift regierte, und die Zellen verschwanden aus unserem Stadtbild, denn der ökonomische Betrieb rechnete sich nicht mehr. Verständlich, ökonomisch gesehen.
Doch, meine Damen und Herren, gestatten Sie dem alten Schuhmachermeister eine ketzerische Frage: Waren sie wirklich nur zum Telefonieren da?
Ich sage: Wir brauchen die Telefonzellen zurück! Nicht als schnöde Sprechapparate, sondern als „Soziale Stillekabinen“. Ein Ort, an dem man sich bewusst gegen die Akustik der Öffentlichkeit entscheidet.
Stellen Sie sich die Szene vor: Sie sind auf dem Marktplatz, im Zug oder im Wartezimmer, und Sie werden unfreiwillig zum Mithörer der neuesten Diätpläne, der Urlaubsplanung oder der kompletten Katzenfutterbestellung des Tischnachbarn, der sein Telefon behandelt, als sei der Gesprächspartner taub und eine Meile entfernt. Das ist nicht nur störend, das ist, wenn man es genau betrachtet, eine Form der akustischen Umweltverschmutzung!
Die reaktivierte Zelle, etwas aufgehübscht mit einer kleinen Bank und einer Kaffeetasse-Ablage, aber gänzlich ohne Telefon, wäre ein stilles, hölzernes Statement. Wer hineingeht, signalisiert: „Ich brauche fünf Minuten Gnade der Stille.“
Natürlich wird es immer Zeitgenossen geben, denen das akustische Gespür für den öffentlichen Raum fehlt. Aber die Existenz dieser „Silence Booths“ könnte ein leises Umdenken anstoßen. Ein charmantes, beinahe satirisches Plädoyer für mehr Rücksichtnahme. Es wäre ein Ort, an dem wir nicht miteinander sprechen, sondern an dem wir bewusst schweigen dürfen.
Liebe Stadtväter, liebe Planer der urbanen Akustik, lassen Sie uns diesen gelben, schweigenden Helden eine zweite Chance geben. Es wäre ein Upgrade für unsere strapazierten Ohren und ein Beweis dafür, dass die größten Innovationen manchmal in der Kunst der Reduktion liegen.
Mit nachdenklichen Grüßen aus Großsteinberg, Ihr Karl Pfefferkorn.


